Positionspapier

Was ist und was will sozioökonomische Bildung?
Positionen der Gesellschaft für sozioökonomische Bildung und Wissenschaft

Sozioökonomische Bildung wird der Vielfalt des wirtschaftlichen Denkens und Handelns gerecht.
Sie fördert Freiheit, Solidarität und Partizipation des Menschen. Sie lässt sich von Gerechtigkeit, Gemeinwohl und Nachhaltigkeit leiten und trägt zur Verständigung darüber bei. Sie betrachtet Wirtschaft als eingebettet in Gesellschaft. Ihre Gegenstände sind Subjekte und Lebenswelten, Praxen, Institutionen und Regeln. Wir gehen von einem personalen und reflexiven Bildungsbegriff aus. Wir schaffen Resonanzräume, in denen sich bildende Personen ihre Vorstellungen und Werte einbringen, aushandeln und praktizieren können.
Wirtschaft muss in ihrem gesellschaftlichen und lebensweltlichen Kontext, in ihrem politischen Rahmen sowie in ihrer Historizität analysiert, diskutiert und interpretiert werden. Sozioökonomische Bildung erschließt die Domäne Wirtschaft vorrangig mit Bezug auf Wirtschaftswissenschaften, Politikwissenschaft, Soziologie sowie auch Philosophie und Rechtswissenschaft. Sie versteht die Vielfalt der wissenschaftlichen Diskurse als eine wertvolle Ressource und greift Theorien verschiedener Denkschulen auf. Die Gesellschaft für sozioökonomische Bildung und Wissenschaft fördert die Freiheit von Denken, Urteilen und Handeln entlang der folgenden fünf Maßgaben:

  • Wirtschaft braucht Gesellschaft

Wer Wirtschaft verstehen und gestalten will, muss ihre gesellschaftliche Einbettung und Wechselwirkungen etwa mit Politik, Recht, Gesundheit, Umwelt oder Familie betrachten. Wirtschaft benötigt Ressourcen, die sie nicht gewährleisten kann. Beispiele sind Vertrauen, Kooperationsbereitschaft, Nichterwerbsarbeit, Rechtssicherheit und Moral. Wirtschaft setzt gesellschaftliche Leistungen voraus und prägt die Gesellschaft. Sie schafft Wohlstand und Teilhabe, bewirkt aber auch Ungleichheit und Ausbeutung von Mensch und Natur.

  • Wirtschaft dient den Menschen

Menschen schaffen Wirtschaft durch soziale und kulturelle Praktiken. Wirtschaftliche Zusammenhänge gründen nicht auf Naturgesetzen und die Menschen sind diesen nicht in ähnlicher Weise unterworfen. Wirtschaft erzeugt Spannung zwischen Individuum und Gesellschaft, Gegenwart und Zukunft. Sie ist dann human, wenn sie auf Gemeinwohl und gutes Leben für alle zielt. Das schließt den Erhalt der natürlichen Umwelt unabdingbar ein. Dabei erkennt sozioökonomische Bildung die Pluralität persönlicher Positionen zum Wirtschaftlichen und zur Wirtschaft an. Dazu gehört, Räume im eigenen Leben und in der Gesellschaft zu respektieren, in denen das Primat des wirtschaftlichen Denkens nicht greifen soll.

  • Wirtschaften ist immer normativ

Wirtschaft und Wirtschaften sind untrennbar mit normativen Vorstellungen verbunden. Wirtschaftliches Handeln ist angewiesen auf gesellschaftliche Legitimierung und Regeln. Wirtschaftliche Praktiken sind nicht wertneutral, sondern müssen kritisch-reflexiv analysiert, begründet und gestaltet werden. Dabei ist die Pluralität von Werten, Normen und Lebensentwürfen ebenso zu berücksichtigen wie die normative Wirkung von Modellen auf die wirtschaftliche Praxis.

  • Freiheit im wissenschaftlichen Denken

Wissenschaften analysieren Wirtschaft aus unterschiedlichen Perspektiven. Sie nutzen verschiedene Theorien und liefern vielfältige Erklärungen, die sich mitunter widersprechen. Auf dieser Basis geben sie Empfehlungen an Wissenschaft, Wirtschaftspraxis, Politik und Privatpersonen. Das schließt wirtschaftsrelevante Kompetenzen ein. Sozioökonomische Bildung garantiert einen kompetenten, kritischen und selbstbestimmten Umgang mit wissenschaftlicher Pluralität. So sichert sie die Wahrnehmung des Rechts auf freies Denken über Wirtschaft und Wissenschaft.

  • Wirtschaft kritisch denken

Die Erfahrung gesellschaftlicher Krisen fordert eingelebte Praktiken und etabliertes Wissen heraus und verlangt Offenheit, Kreativität und Innovation im wirtschaftlichen Denken und Handeln. Sozioökonomische Bildung ermutigt zu neuem Denken und befähigt zur kritischen Auseinandersetzung mit dem fraglos Gegebenen und vermeintlichen Sachzwängen. Sie ermutigt zum reflektierten und entschlossenen Handeln.

Stand: 27. November 2023

Verfasserinnen: Vorstand der GSÖBW

namentlich: JunProf. Dr. Anja Bonfig, Prof. Dr. Tim Engartner, Prof. Dr. Silja Graupe, Prof. Dr. Udo Hagedorn, Prof. Dr. Harald Hantke, Prof. Dr. Reinhold Hedtke, Prof. Dr. Christoph Schank, Lisa-Marie Schröder, Prof. Dr. Georg Tafner

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